In E-Autos werden zukünftig mehr und mehr kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe verbaut. Sie sind leicht, stabil und bieten langfristig Kostenvorteile. Aber was geschieht mit diesen aufwändig produzierten Bauteilen, wenn sie – nach oft recht kurzer Nutzung – ausrangiert werden? Die Antwort lautet bisher meist: Sie werden auf der Mülldeponie entsorgt oder verbrannt. Um sie wirtschaftlich sinnvoll wiederzuverwenden, fehlt bisher die Technologie. Das wollen 20 Partner aus sieben Ländern, darunter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU, im europäischen Forschungsprojekt ›FiberEUse‹ ändern. Seit Juni 2017 haben sie Technologien und Produktideen für Faserverbundmaterialien entwickelt, die mechanisch bzw. thermisch recycelt werden. Die IWU-Forschenden wollten aber mehr: Auch die Aufbereitung und Wiederverwendung sollte möglich sein. Diesen Innovationspfad sowie weitere aus dem EU-Projekt resultierende Lösungen für zirkuläre Wertschöpfungsketten haben die Partner zum Projektabschluss auf der Mailand Design Week 2021 vorgestellt. Für das Fraunhofer IWU war Justus von Freeden vor Ort. Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Fraunhofer-Projektzentrums Wolfsburg präsentierte einen neuartigen Fahrzeugrahmen, der sich 30 Jahre lang wiederverwenden lässt. Im Interview blickt er zurück auf die Messe und erklärt, warum Bauteile für E-Autos so lange halten sollten.
Herr von Freeden, die allerwenigsten Autos werden 30 Jahre lang gefahren. Warum sollen Bauteile dann so lange halten?
Es geht um schonenden Ressourceneinsatz in einer Kreislaufwirtschaft.
Natürlich hält kein Fahrzeug so lange durch. Das muss es auch nicht.
Uns geht es um die Wiederverwendbarkeit.
Sie wollen Bauteile also nacheinander in mehreren Autos nutzen?
Genau, gemeinsam mit den Projektpartnern EDAG und INVENT haben wir in
Mailand eine wiederverwendbare Plattform für E-Fahrzeuge vorgestellt.
Die einzelnen Teile sind so beschaffen, dass sie nach dem ersten ›Leben‹
eines Pkw erneut genutzt werden können, für ein zweites und auch ein
drittes ›Leben‹. Bis zu 30 Jahre oder bis zu einer Million Kilometer
soll diese Plattform im Einsatz sein. Neben dem Fahrzeugrahmen betrifft
das auch eine zugehörige Sitzstruktur. Die Plattform besteht aus
stranggezogenen Elementen aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff
(CFK), die wesentlich zur Steifigkeit des Fahrzeugs beitragen und die
Batterien vor den Auswirkungen eines Unfalls schützen.
Sie waren mit einem Prototyp der Plattform auf der Mailand Design Week. Aber Ihnen geht es gar nicht um die Optik, oder?
Beim Design geht es auch darum, Produkte von Anfang an so zu denken,
so zu planen, dass sie zukünftige Anforderungen erfüllen. Unser
Demonstrator verkörpert unsere Grundidee für die Gestaltung langlebiger,
kreislauffähiger Produkte. Komponenten und Baugruppen aus
Faserverbundkunststoffen gar nicht erst zu recyceln, sondern direkt
aufzuarbeiten und wieder zu verwenden – das ist unser
Design-for-Re-Use-Ansatz.
Das bedeutet?
Das bedeutet, bereits bei der Entwicklung die Bauteile so zu
gestalten, dass sie am Ende ihrer Nutzungsphase leicht demontiert und
erneut eingesetzt werden können. So sollen nach dem Ende eines
Fahrzeuglebens der Grundrahmen und die Sitzstruktur demontiert,
aufbereitet, gegebenenfalls repariert werden und die Komponenten
anschließend die Basis für ein neues Fahrzeug bilden. Faserverstärkte
Kunststoffe, insbesondere CFK, eignen sich aufgrund ihrer
Korrosionsbeständigkeit und hohen Ermüdungsfestigkeit ideal für solche
langlebigen Komponenten. Andererseits verlangen Verbundmaterialien aus
Fasern und einer bindenden Matrix nach anderen Fertigungstechnologien
und Prozessen für eine einfache Demontage. Auch hierzu haben wir im
Projekt verschiedene Verfahren für diesen Anwendungsfall eingebracht und
erprobt.
Welche Technologien ermöglichen solch einfache Demontagen?
Wir haben mit unseren Partnern eine Konstruktionslösung gewählt, bei
der Plattform und Sitzstruktur aus großen Profilen und Knotenelementen
mit komplexer Geometrie bestehen. Hergestellt werden diese Profile
mittels Pultrusion oder Strangziehen. Damit lassen sich besonders
langlebige Fahrzeugstrukturen aus Faserverbunden wirtschaftlich
fertigen. Für dieses Verfahren besitzt das Fraunhofer IWU eine
ausgewiesene Expertise.
Ein weiteres Thema sind die Fügetechnologien. Faserverstärkte Kunststoffe werden meist geklebt.
Beim Trennen geklebter Bauteile kommt es mit herkömmlichen Methoden fast immer zu Beschädigungen. Wie funktionieren Ihre leicht lösbaren Klebeverbindungen?
Technisch gesprochen, mischen wir dem Klebstoff thermisch
expandierbare Partikel bei. Wird Wärme zugeführt, erweitern sich die
Partikel um ein Vielfaches ihrer Größe. Dadurch wird die Klebestelle
geschwächt, es entstehen Risse im Kleber und die Bauteile lassen sich
einfach voneinander lösen. Sozusagen ›auf Knopfdruck‹ trennen kann man
sie, wenn in den Kleber zusätzlich feines Eisenpulver eingemischt und
dieses durch Induktion aktiviert wird. Auch mittels Heizdraht ist eine
schnelle Lösung der Klebschicht möglich. Nach dem Trennen können die
Klebstoffreste beispielsweise per Laser oder mittels Fräsen entfernt und
die Komponenten erneut geklebt werden.
Weshalb haben Sie eine E-Fahrzeug-Plattform gewählt, um den zirkulären Einsatz von Faserverbund-Komponenten zu demonstrieren?
Diese sogenannten Komposite-Bauteile finden vor allem im
Mobilitätsbereich Anwendung. Dank ihres geringen Gewichts und ihrer
Korrosionsbeständigkeit werden sie für den Markt der Elektromobilität
immer interessanter, nicht zuletzt getrieben durch Startups in diesem
Segment. Darüber hinaus sehen wir Chancen für das Entstehen neuer
Geschäftsmodelle in der Automobilwirtschaft. Für das Demontieren, Prüfen
und Aufarbeiten von Faserverbundbauteilen wird ein neuer Markt
heranwachsen.
Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass Komposite-Bauteile bis zu 30 Jahre genutzt werden können?
Wir haben mittels thermischer Alterungsverfahren Erkenntnisse gewonnen, die den Schluss erlauben, dass eine bis zu 30-jährige Nutzung möglich ist. Was wir jedoch nicht beeinflussen können, sind eventuelle Beschädigungen an Bauteilen, die etwa mit der Fahrzeugnutzung zusammenhängen. Deswegen ist die einfache Prüfung der Teile vor dem Wiedereinsatz noch eine Herausforderung. Mit dem Zeithorizont von mehreren Jahrzehnten wird die Verwendung von Komposite-Komponenten auch unter wirtschaftlichen Aspekten günstig. Bereits nach einer Wiederverwendung erreicht man Kostenvorteile gegenüber klassischen Metallteilen.
-> Zum Originalbeitrag des Fraunhofer IWU.
Bild ©Fraunhofer IWU: 30 Jahre lang weiterverwendbar: Fahrzeug-Plattform aus Faserverbundkunststoffen für E-Autos.